Ist Glück nur eine Frage der Einstellung?
- J.H.
- 5. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Ein persönlicher Blick auf ein allzu populäres Lebensmotto
Immer wieder hört man den Satz: „Glück ist eine Frage der Einstellung.“Er klingt optimistisch, lösungsorientiert – fast ein bisschen wie ein Versprechen. Und doch: Ich tue mich ehrlich gesagt schwer damit, diese Vorstellung so einfach zu übernehmen. Denn sie impliziert, dass man sein Glück selbst in der Hand habe – und nur die richtige innere Haltung brauche, um glücklich zu sein. Wer unglücklich ist oder einfach kein Glück hat, wäre demnach selbst schuld. So leicht sollte man es sich nicht machen.
Jeder Mensch bringt andere Voraussetzungen mit. Und jeder verbindet mit „Glück“ etwas anderes: Liebe, Geborgenheit, Sicherheit, Sinn, Geld, Freiheit, Erfolg, Gesundheit. Es gibt nicht die eine universelle Definition von Glück – und erst recht keinen einheitlichen Weg dorthin.
Nehmen wir das klassische Glück im Sinne von Zufall, Glücksspielen oder schicksalhaften Fügungen: Einen Lottogewinn, eine überraschende Chance oder die zufällige richtige Entscheidung – all das hat rein gar nichts mit der inneren Einstellung zu tun. Es passiert – oder eben nicht. Wer gewinnt, hatte Glück. Wer nicht, hat im klassischen Sinne nichts falsch gemacht.
Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen zeigt sich: Glück lässt sich nicht herbeidenken. Das Gefühl, mit jemandem verbunden zu sein, sich geliebt und verstanden zu fühlen – das kann man nicht erzwingen. Natürlich kann man an Beziehungen arbeiten, Nähe pflegen, sich öffnen. Aber den oder die Richtige zu treffen, zur richtigen Zeit – das hat auch mit Glück zu tun. Und selbst wenn man seine Erwartungen ändert, bedeutet das noch lange nicht, dass daraus automatisch Glück entsteht.
Dann gibt es diese flüchtigen Augenblicke, in denen einfach alles stimmt: ein Sonnenstrahl im richtigen Moment, ein Gespräch, das berührt, eine Situation, in der man sich vollkommen bei sich fühlt. Auch das sind Glücksmomente – und sie folgen keiner inneren Anleitung. Sie entstehen – oder nicht.
Oft wird Glück mit längerfristiger Zufriedenheit verwechselt. Ein Leben, mit dem man sich arrangiert, das sich insgesamt stimmig anfühlt – das ist sicherlich ein wertvoller Zustand. Aber selbst dafür braucht es mehr als nur eine positive Haltung: ein stabiles soziales Umfeld, Sicherheit, Gesundheit, Chancen. Selbst wenn man sich entscheidet, mit wenig zufrieden zu sein, heißt das noch lange nicht, dass man sich glücklich fühlt. Manchmal arrangiert man sich auch, weil man müde ist oder weil einem die Alternativen fehlen.
Wenn Glück allein durch eine bestimmte Einstellung entsteht – ist es dann überhaupt echtes, ehrliches Glück? Oder hat man sich vielleicht nur etwas eingeredet, um besser zurechtzukommen? Das mag kurzfristig helfen. Doch ob es das tiefe Gefühl von Glück wirklich ersetzen kann, ist fraglich. Vielleicht braucht es beides – etwas Glück von außen und ein wenig innere Bereitschaft, es zu erkennen.
Und gar gefährlich wird es, wenn man die Aussage auf Menschen mit psychischen Erkrankungen überträgt – etwa auf Betroffene von Depressionen. Der Satz „Glück ist nur eine Frage der Einstellung“ kann für sie nicht nur verletzend sein, sondern auch eine problematische Umkehr der Verantwortung bedeuten. Er legt nahe, dass die Betroffenen selbst schuld seien, weil sie einfach nicht positiv genug denken. Das ist nicht nur falsch, sondern hat möglicherweise gar fatale Folgen.